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Das lächelnde g

Ein Buchstabe wandert um die Welt, bringt Leute zusammen, bringt Leuten was bei, landet schließlich auf der Straße – und bekommt ein neues Zuhause.

Wie es dazu kam? Zunächst durch andere Buchstaben: die gebauten Logo-Versalien des Tagesspiegels. Jahrzehntelang prangten sie weithin sichtbar auf dem Turmdach eines weißen Bürogebäudes in der Potsdamer Straße, dem ehemaligen Verlagssitz der Zeitung (heute sitzt hier Edenspiekermann im 6. Stock). Lange schon hatten wir sie im Visier. Plötzlich waren sie weg. Abmontiert und vom Auseinandergerissenwerden bedroht. Wir konnten eingreifen – wäre es nicht taghell gewesen, in einer „Nacht- und Nebel-Aktion“ – und sie retten, alle. Die Geschichte dazu hat die Gemüter bewegt.

Würde ich stiften

Ein gewisser Dr. Ulrich Lessmann von T-Systems sieht unsere Bilder der Rettungsaktion auf Facebook und meldet sich (am 14. August 2013). Buchstabe zu verschenken: „Ich habe noch ein großes blaues gedas-g im Keller, das ich 2006 gerettet habe. Würde ich stiften!“ Ob wir Interesse hätten und den ans Buchstabenmuseum weiterleiten würden. Na klar.

Die Übergabe legen wir aufs Wochenende; am Samstag, dem 24. August kommt Uli Lessmann bei LucasFonts vorbei (Lucas de Groot und die Autorin sind Mitglied im Buchstabenmuseum Berlin). Freudestrahlend trägt Uli sein großes leuchtendblaues g zu uns über den Hof und erzählt im Garten seine Geschichte. Lucas und er erinnern sich an ihre Agenturanfänge als Kollegen bei MetaDesign: Uli war dort im gedas-Team, oder auch „Team Grün“ (die Benennung nach Farben sollte unhierarchisch sein, sorgte aber wohl auch für Turbulenzen, wie sich die beiden erinnern). Zusammen mit Kollegin Ulrike Damm betreute Lessmann den Auftraggeber gedas.

Das g geht eigene Wege

Die ehemalige IT-Tochter von Volkswagen firmierte zunächst unter „VW gedas“ und sollte ein visuell eigenständiges Logo bekommen. Es sei schwierig gewesen, so Uli Lessmann, die IT-Leute von VW davon zu überzeugen, dass ein Schriftzug ein Logo sein könne. So ganz ohne weitere grafische Bestandteile, nackt quasi, ohne ein Zeichen dazu oder drum herum – hartnäckig hielt sich ein Dreieck im Gespräch und stand lange auf der Wunschliste der Auftraggeber.

So entstand der leuchtendblaue gedas-Schriftzug. Und Lessmann ging 1999 mit gedas – dem Unternehmen und dem Schriftzug – in die USA. Vor Ort war er als Marketing- und PR-Manager dafür zuständig, den 28 Leuten der neuen Niederlassung das Logo zu erklären. Für sie war ein g bis dato einfach ein g. „Sie haben ,gedas‘ in irgendeiner ähnlichen Schrift in irgendeinem Blau einfach rechts oben in die Ecke gestellt und fertig“, erinnert sich Uli Lessmann mit leiser Verzweiflung.

Das g wird Corporate Design

Das g oder der gesamte Schriftzug gedas beruht auf der Futura (entworfen 1927) von Paul Renner, Hausschrift von Volkswagen. In seinen Präsentationen für die amerikanischen Kollegen erklärte Lessmann geduldig immer wieder, warum die Wahl der richtigen Schrift so wichtig für ein Unternehmen und warum es keineswegs egal ist, welche Buchstaben eine Wortmarke formen. Dabei half ihm das g.

Lessmann machte darauf aufmerksam, dass der ursprüngliche Kleinbuchstabe g der Futura, zumal an so prominenter Stelle am Wortanfang, ziemlich hart wirkt und „fast grimmig“ dreinschaut, wenn man es für sich betrachtet. Die subtilen Überarbeitungen des Buchstabens (unter Federführung von Erik Spiekermann) seien zwar für das ungeübte Auge nicht unbedingt zu erkennen, sehr wohl aber in ihrer Wirkung: „Das g lächelt jetzt.“

So wurde das g zu Lessmanns „Schlüssel, um die Leute zu gewinnen“.

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Weiter mit dem g im Gepäck

2004 kam Uli Lessmann nach Berlin zurück und zog mit der Firma gedas in die Pascalstraße, den Schriftzug immer dabei. Dann ging alles ganz schnell: „Wir wurden von der Telekom gekauft“, das Logo wurde abgebaut, und „die fünf Buchstaben lagen vor meinem Fenster auf der Straße“. Ein schlimmer Anblick. Lessmann schritt zur Tat und rettete das g. Er konnte es doch nicht einfach dort liegenlassen, nach all dem, was sie zusammen durchgemacht hatten.

Das g hat ihn lange begleitet. Es habe wirklich „einmal die Runde gemacht“, so Lessmann, von Deutschland in die USA und zurück, von Volkswagen in die Eigenständigkeit und wieder zu einem Konzern, der Telekom. Am Ende der Odyssee und nach langer Verwahrung im privaten Keller findet sich für sein g endlich ein neues Zuhause in Berlin.

Das g im Gesamtzusammenhang

Außerdem, so stellen wir nun fest, ging das g aus den Händen des Buchstabengestalters Erik Spiekermann zurück über seine Agentur Edenspiekermann an das Buchstabenmuseum Berlin, das er mitbetreut. Zu allem Überfluss ist Designerin Barbara Dechant, Leiterin und (zusammen mit Anja Schulze) Gründerin des Museums, wie Uli Lessmann und Lucas de Groot eine ehemalige Mitarbeiterin von Erik Spiekermann.

Kein Zufall also, das alles, sondern ein kosmischer Buchstabengesamtzusammenhang.

Wir können Herrn Dr. Lessmann versichern, dass sein lächelndes g auch weiterhin in den besten Händen ist. Wir freuen uns sehr über seine Stiftung an das Buchstabenmuseum – und über diese schöne Geschichte.

Das lächelnde g ist in Sicherheit. Im Buchstabenmuseum Berlin wird es sorgsam verwahrt, ausgestellt und kann jederzeit besucht werden.

Das Buchstabenmuseum eröffnete am 6. Dezember 2013 neu in einer ehemaligen DDR-Kaufhalle in der Holzmarktstraße 66 in 10179 Berlin-Mitte (nahe Jannowitzbrücke) – Neuletter abonnieren. Wie wir die (im wahrsten Sinne des Wortes) Großbuchstaben in der Potsamer Straße bargen: Tagesspiegel retten. Hier Informationen über den deutschen Typografen und Grafikdesigner Paul Renner und seine Satzschrift Futura.

Erstmals veröffentlicht am 14. Oktober 2013 auf dem Blog von Edenspiekermann, hier überarbeitet. Foto oben von Sonja Knecht, unteres Foto (Sonja Knecht mit lächelndem g) hat Lucas de Groot gemacht.

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