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Dem Volk aufs Maul

Die Trumpwahl ist Tatsache. Sie beendet den vorausgegangenen Schaukampf und macht den Trump’schen Wahnsinn zur Wahrheit. Auch seine Sprache.

Kommen wir jetzt alle wieder zur Ruhe? Die als erstaunlich gemäßigt oder gar versöhnlich gewerteten Töne bei Trump kurz nach dessen Wahl werden von vielen, fast reflexhaft, als Mittel zur Relativierung genommen. Neben Schockstarre bei den einen, ist bei anderen eine Art „so schlimm wird es schon nicht werden“ zu merken. Dabei ist Trumps sehr kurzzeitige „Milde“ (Erschöpfung?) wohl eher als Teil wohldosierter, temporärer Beschwichtigungsgesten zu werten und verhilft uns, der hilflos staunenden Öffentlichkeit im alten Europa, nur oberflächlich zur Selbstberuhigung. Wir pfeifen im Wald, doch bleibt die Angst: Da wird noch viel Entsetzliches auf uns zukommen. Auf vielen Ebenen und Nebenwegen und an vielen Orten.

Trump hat es angekündigt und es ist alles schon da.

Wir müssen nur genau hinhören. Und diese Sprache ernst nehmen. Nicht als Show und nicht nur für den Effekt, nicht für ihren Unterhaltungswert (was zynisch genug wäre oder ist), sondern als etwas, das Wirkung zeigt und weiterhin zeigen wird, so schnell und so selbstverständlich, dass man mit dem Entsetzen gar nicht hinterherkommt. (Die Studierenden, die sich an amerikanischen Universitäten in den Tagen nach der Wahl spontan zu Sperrketten zusammenschließen und ihre lateinamerikanischen Kommilitonen und Kommilitoninen mit dem Schlachtruf „We gonna built that wall“ nicht aufs Universitätsgelände lassen; die beiden Besucher einer Großveranstaltung, die eine Sicherheitsbeauftragte, die sie lenken will, mit den Worten „We gonna donaldtrump you“ bedrohen und zwingen, sie vorbeizulassen. Und so weiter, und so fort.)

Schon werden, Beistimmung heischend, Scherze gemacht über Trumps beherzten Griff in den weiblichen Schritt; schon wird diese und werden weitere Trump’sche Verbalattacken zum geflügelten Wort.

Man mag das witzig finden.

Manche möchten es unbedingt witzig finden.

Weil witzig finden nicht so schmerzt, wie ernst nehmen. Wohl kaum jemand würde das, was Trump sagt, ernsthaft nachempfinden und sich einem solch brutalen Zugriff sprichwörtlich aussetzen wollen.

Wehe, wenn sie erst mal da sind

Nichts und niemand kann diese Tatsache relativieren: Wenn Menschen, die öffentliche Ämter bekleiden (wollen), offen, unverhohlen und ungestraft sexistische, rassistische, lügnerische, unverschämte, betrügerische, beleidigende, respektlose, herablassende, verleumdende, diffamierende Dinge sagen und tun dürfen, so, wie es der aktuelle, unfassbarerweise demokratisch gewählte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in ungeahntem Ausmaß tut – und es wird nun noch um einiges leichter werden, solche Reden zu führen, diese Sprache, sie ist vielerorts bereits Konsens, denn jetzt wird ja „nur“ und „endlich“ laut ausgesprochen, was man schon lange dachte – und wenn einer damit nicht nur ungestraft davonkommen, sondern auch noch belohnt, bewundert und gewählt werden kann, und wenn die öffentliche Zustimmung zu dem, was und vor allem auch wie er es sagt (denn das ist hier keine nebensächliche Formfrage, sondern instinktgetriebene Strategie), wenn diese Zustimmung also ebenfalls immer unverhohlener feindselig, hasserfüllt und aggressiv ausfallen darf, ist das brandgefährlich.

Plakat im Frühjahr 2017 an der UdK Berlin, Fachbereich Visuelle Kommunikation (Haus Grundwaldstaße, 2. OG an der Caféteria). Als noch fundamental aufschlussreicher als die berühmt-berüchtigte vorletzte Zeile dürfte die abschließende Zeile des Zitats gewertet werden.

Ein solches Verhalten ist durch nichts zu entschuldigen (so eine schlimme Kindheit und/oder schlechte Kinderstube kann kein Mensch gehabt haben) und allenfalls psychopathologisch zu erklären. Aber vor allem ist es nicht zu verharmlosen, auch mit keiner Begrifflichkeit: Narzissmus, erfolgsgetriebener Größenwahn, kleine Hände, kleiner Penis, vegetative Intelligenz? Egal. Ob „Fake News“ oder „alternative Fakten“, nichts hilft, nichts tröstet, nichts davon darf Akzeptanz finden. Das Gefährliche gerade an letzteren Neuschöpfungen: Sind die Wörter erst einmal da, benennen sie einen vorher nicht dagewesenen Tatbestand und legitimieren ihn möglicherweise. Was benannt ist, ist da. Was man oft hört und wiederholt, bleibt in Erinnerung.

Plakat und Foto Erik Spiekermann

Durchgeknallt anarchisch

Hier zeichnet sich schon sprachlich etwas ab, das in höchstem Maße bedrohlich ist. Und zwar nicht nur für US-amerikanische Trump-Gegner und -Gegnerinnen. Das schwappt über in alle Lager. Das sickert ein ins Private. Das stärkt alle konservativen, intoleranten Kräfte. Das beeinflusst auch politisch das „alte Europa“, das sich zurzeit an vielen Stellen neu aufstellen möchte: rechts, rücksichtslos, radikal vermeintlichen Freiheiten zustrebend. Freiheiten, die immer nur privilegierte Einzelne meinen, also deren Narrenfreiheit und Freiheit von Regelungen, die „für alle“ gelten aber nicht für sie (in dummdreister Ignoranz demokratischer, gemeinschaftsstiftender Werte) – Freiheit also niemals im Sinne einer Gemeinschaft oder Nation oder gar übernationaler Bündnisse.

Auch die eigene Bündnisbildung fällt dummdreist, primitiv und oberflächlich aus; die Medien werden hemmungslos und selbstverständlich genutzt und im Wechsel kollektiv als Absender von „Fake News“ beleidigt. Hier relativ harmlose Beispiel-Tweets des Accounts @RealPressSecBot, der jeden Tweet von Donald Trump nach spätestens 5 Minuten automatisch im offiziellen Erscheinungsbild US-präsidialer Meldungen wiederholt:

 

Eine Art durchgeknallte Altherrenanarchie macht sich breit.

Ausgehend von Trump und seinen Mannen, einem Haufen selbstherrlicher, mittelalter bis betagter Milliardäre (sowie einigen wenigen Milliardärinnen), entwickeln sich in großer Selbstverständlichkeit Sprach- und Menschenbilder, die zutiefst antidemokratisch, kriegstreiberisch und antihumanistisch sind. Ein extremistisch ausgelegtes, fanatisch ausgelebtes und/oder propagiertes Christentum ergänzt die fatale Melange.

Welches Menschenbild bedienen wir?

Was die Person (Symbolfigur, manche sagen gar Marke) Trump an Energien verkörpert, bündelt und freisetzt, ist in höchstem Maße beängstigend. Wem es gelingt, diese negativen Energien, die da herausplatzen, mit denen er herausplatzt, die (zunächst) in Form von Sprache sich verströmen und das Klima verpesten, zu ignorieren oder zu verharmlosen – für sich, seine Nachbarn, seine Familie und sein Land, der ist zu beneiden.

Einerseits.

Andererseits wäre Wachsamkeit, mindestens, die angemessenere Haltung, und aktives Eintreten gegen weitere Vertrumpisierungen noch besser, ein aktives Sprachhandeln, mindestens, in jeder Lebenslage.

Obwohl wir die US-Wahl nicht ignorieren oder rückgängig machen können und Trump sich nicht in Luft auflösen (oder einfach platzen) wird, können wir etwas tun. Wir haben Handlungs- und Haltungsoptionen und wir haben unsere Sprache(n).

Es sind unsere Entscheidungen: einstimmen, mittun, bestätigen, die neuen Wörter und Wendungen benutzen – oder eben nicht? Die groben Scherze, Trump zitierend, mitmachen, darüber lachen – oder laut und deutlich kundtun, dass und warum man sie so grässlich findet? Auch wenn man die oder der Einzige in der ganzen Runde ist? Und die Stimmung versaut?

Ja.

Es ist schließlich meine Sprache, um die es hier geht. Die möchte ich mir nicht versauen lassen (um im Wording zu bleiben, und leider passt es hier). Es ist mein Menschenbild, das ich damit ausdrücke. Wie ich andere sehe und behandele, wie ich selbst gesehen und behandelt werden möchte, drückt sich in meiner Sprache aus.

Das ist nicht kitschig.

Das ist nicht wenig, und es wirkt: im besten Fall anti-zynisch, anti-verächtlich, anti-aggressiv.

Antizipierend übrigens auch: Schaut euch um! Hört euch um. Hört genau hin. Schaut dem Volk aufs Maul. Wie sprechen sie um euch herum? Wie drücken sich eure Nachbarn, manche eurer Freunde vielleicht und sogar „krisensicher“ geglaubte Familienmitglieder mittlerweile aus? Und wenn da Missklänge sind: Finger drauf. Mund aufmachen. Hinterfragt das! Wenn ihr zuhört und merkt, da stimmt etwas nicht, dann stimmt da etwas nicht. Hört nicht schweigend zu. Und vor allem: Stimmt nicht ein. Stimmt nicht zu und bestätigt sie nicht, die, die so reden. Gebt keine Ruhe. Lasst sie nicht in Ruhe damit, und kommt selbst nicht zur Ruhe. Nehmt eure Unruhe ernst.

Freilich wäre es besser, oder einfacher, wir könnten dem Volk und seinen (unseren) politischen Vertretern und Vertreterinnen nicht nur aufs Maul schauen, sondern ihnen tatsächlich aufs Maul hauen. Ihnen den Mund verbieten, wenn sie sich so dummdreist, wahrheitswidrig und menschenverachtend äußern, wie es nun womöglich zum neuen Maßstab oder jedenfalls weithin akzeptiert wird. Es gibt nur leider keine offizielle, handfeste Handhabe.

Und dieses Hauen wäre ja auch nur der Verzweiflung geschuldet – weil wir so wenig tun können gegen diese Sprüche, diese Sprache. Denn wo verläuft die Grenze zwischen einer flapsig, womöglich halb scherzhaft dahingesagten Abfälligkeit, einem schlechten Witz auf Kosten anderer, und einer handfesten Beleidigung? Ist es die eigene Empfindlichkeit, die einem oft genug schon verständnisvoll bescheinigt oder auch unwirsch vorgehalten wurde, die einen in der Wahrnehmung unterscheidet? Nach dem Motto: Dein Problem, wenn du so sensibel bist. Empathie ist Schwäche. Hab dich nicht so.

Doch.

Lasst uns das unbedingt beibehalten.

Spätestens wenn der Wunsch aufflammt, bei Gehörtem schlicht auf den Tisch oder auf andere Weise dreinhauen zu wollen, stimmt etwas nicht. Dann sind Punkte überschritten, an denen man etwas aushalten sollte.

Spätestens dann wird es allerhöchste Zeit, zu reagieren und dem Sprachdreck, dem Unerträglichen, dem Unsagbaren, das eben doch gesagt wurde, entgegenzutreten. Unbeirrt und möglichst unverwirrt (sonst wäre ein Zweck erreicht), auch wenn man noch so erschüttert ist.

Der Druckstock zum Plakat (Holzlettern)

Die ersten gedruckten Exemplare des Plakats

Unflat kommt nicht von ungefähr

Natürlich ist Hauen(wollen) kein gutes Zeichen. Das gilt auch für die, die mit Worten um sich schlagen. Mein eigenes Hauenwollen jedenfalls fühlt sich nicht gut an, wenn es denn da ist. Selten genug, dann aber deutlich, flammt es auf: Ich möchte, mindestens verbal, um mich schlagen, weil ich etwas nicht mehr ertragen kann. Ich neige stark zu Unflätigkeiten, wenn ich scheißtraurig, schweißwütend oder scheißverzweifelt bin. Auch das kann ich dann nicht mehr anders ausdrücken. Ich will es auch nicht. Wenn es mir scheiße geht, kann ich kaum noch schön sprechen. Oder schön denken, ruhig, fair, sachlich. Meine Sprache entgleitet mir dann geradezu und nur die deftig-kräftigen Kampfausdrücke scheinen noch halbwegs zu funktionieren, bringen Entlastung. Sie verschaffen mir kurz Erleichterung und spiegeln das, was ich hören, sehen, erleben musste. Ich erlebe mich in dieser Sprache als hilflos reagierend, nicht als stark und aktiv.

Insofern hilft es (mir) auch nicht die Bohne, so zu sprechen. Im Zweifelsfall richtet es nur noch mehr Schaden an. Insofern könnte man es auch lassen. Aber wer sich scheiße fühlt, kann nicht schön sprechen. Der richtet mit seiner Sprache noch mehr Scheiße an.

Heißt das nun, dass Trump und Konsorten, dass seine Kohorten, die er jetzt in die Machtpositionen hievt, möglicherweise ebenfalls von einer Scheißwut (oder Scheißangst, oder einer selbst so empfundenen Scheißschwäche) getrieben sind?

Mag sein.

Egal.

Das könnte und dürfte uns erst recht nicht beruhigen.

PS

Der Riesen-Hashtag wurde von Erik Spiekermann in seiner Druckwerkstatt P98a in Berlin gefertigt und machte Furore auf Twitter. Das erste Foto (vom fertig gedruckten Plakat) stammt von Erik Spiekermann, die anderen beiden Bilder (vom Druckstock und auf der Maschine) sind von mir.

Trump weiterhin aufs Maul schauen geht in der Tat komfortabel auf Twitter, neben den vielen Pressebeiträgen, Kommentaren und Analysen auch ganz direkt (häppchenweise, ergo verträglich); angenehmer und absurder noch als sein eigener Account ist Real Press Sec. (@RealPressSecBot), wo jeder Tweet von Donald Trump nach spätestens 5 Minuten im offiziellen Erscheinungsbild US-präsidialer Meldungen wiedererscheint („Checks for new tweets every 5 min & transforms them into correct Presidential statement format. Inspired by built by “).

Der Account hat im ersten Monat seines Erscheinens, Juni 2017, und nach nur 85 Tweets bereits 113 Tausend Follower (Stand 20. Juni 2017).

 

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