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Die besten Geschichten schreibt das Elend

Mit Roboterfüßen quer durch Europa, produktiv sein zuhause und am liebsten zu zweit: Christoffer und Kaisa Leka dokumentieren, wie das geht.

Christoffer und Kaisa Leka aus Finnland nennen ihren Vortrag programmatisch-euphorisch „Sie lügen! Man kann auch nur Sachen machen, die Spaß bringen!“ – und kommen dann viel leiser, charmanter und eigenwilliger daher, als dieser Ausruf mutmaßen lässt. Sie erobern die Bühne und die Besucher der TYPO Show vom ersten Moment an: Er sei der, der gut kocht, sie „die mit den Roboterfüßen“.

Kaisa trägt von den Knien abwärts Prothesen. Die sieht man gut unterhalb ihres schönen Rockes – ein Anblick, den man erst mal verkraften muss. (Wenn man bei Edenspiekermann arbeitet, ist das vielleicht leichter: Einer der Auftraggeber der Agentur ist Weltmarktführer für Prothetik. Begegnungen mit Anwendern, Therapeuten und Technikern von Ottobock bei diesen Projekten haben meine Sinne geschärft. Zum Beispiel dafür, dass es für Prothesenträger nicht unbedingt schicker, sondern sicherer ist, wenn ihre Prothesen zu sehen sind. Hier geht es zur Produktkampagne für computergesteuerte Knieprothesen, wie Kaisa Leka sie trägt.)

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Die Lekas zeigen uns Bilder von zuhause: Finnland. Da gäbe es „nothing to do except be creative“. So sind die beiden seit 10 Jahren offenbar glücklich „married and working together“. Der Bruder von Christoffer ist „into old Land Rovers“, das sei „even more expensive than producing books“. Wir sehen wilde Bilder aus morastigen finnischen Wäldern.

Dort machten sich Christoffer und Kaisa im Vorfeld der TYPO Gedanken: „ooops, sustainability!“. Sie sind sich bewusst, dass sie die Ressource Papier = Wald zum Büchermachen benutzen, doch seien ihre Bücher „things that will be cherished and kept“. (Das erinnert an Lars Müller und seine ganz anderen Bücher, denn für ihn geht es ebenfalls um Nachhaltigkeit durch wertvolle Inhalte – plus Schönheit in der Gestaltung und Produktion. Entscheidend ist das Wissen darum: „Die Konsistenz eines sorgfältig editierten Buches werden Sie im Internet nicht finden“, so Lars Müller.)

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Von Null auf Dreitausend

Ihre kuschelige Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, in die wir im Verlauf des Vortrags bezaubernde Einblicke erhalten, setzen die Lekas outdoor mit exzessiven Radtouren fort. Über diese Fahrradreisen und andere, offenbar meist höchst persönliche Themen machen sie ihre wunderschönen Bücher. Die „expedition no. 3“ führt sie nach Island: 3.000 km. Als ersten Ausflug waren sie zaghafte 50 km von Zuhause weggeradelt und haben ein einziges Mal draußen übernachtet, dann zurück; als zweite Tour ging es gleich 2.000 km durch die eisige Arktis. Ein Faible für unwirtliche Gegenden scheint sie zu leiten.

Das Praktische an Island sei allerdings, dass man einfach immer der „Road No. 1“ folgen müsse und so rings um die Insel kommt. Im Bild sehen wir Kaisa als einsame Sportradlerin inmitten einer völlig unkonturierten Landschaft: nichts als Grau. Nebelschwaden. Nieselregen. Das Quälerische, Leid und Elend scheinen die Lekas produktiv zu machen: „the best stories are made of misery.“

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Jeder erinnert sich anders

Vielleicht entsprang auch das Thema eines anderen, besonders schönen Buches diesem Antrieb. Kaisa sagt, es sei ihr Lieblingsbuch: „Audarya lila“ thematisiert „The Death of Tuomas Mäkinen“ – ein guter Freund, der vom Punksänger zum Mönch in Kalifornien wurde und dafür seine Band, seine Freundin, Freunde und Familie in Finnland zurückließ. Kaisa und Christoffer Leka interviewten die Zurückgebliebenen für die verschiedenen Episoden des Buches und stellen in der Rückschau lakonisch fest: „people remember things differently.“ Wie wahr.

Sie zeigen uns verschiedenstufige Vorstudien – „sketches for sketches for sketches“, dann „sketches for sketches“, dann „sketches“ – und Fotos aus den Entstehungsphasen ihrer eigenwilligen Büchlein. Am ehesten wären diese wohl einzusortieren in das Genre „graphic novel“. Wir sehen Kaisa zeichnend über ihrem Leuchtkasten; per Hand will sie zeichnen, so lange es Tinte und Papier gibt, nicht digital arbeiten (obwohl das in einem der nächsten Schritte notwendig wird), sie würde sich notfalls mit Vorräten eindecken, sollte sich in absehbarer Zeit ein Papierwarenladensterben abzeichnen (!).

Wir sehen sie dann doch auch am Computer, nachts. An der Wand über ihrem Schreibtisch hängt eines dieser Lehrplakate mit kolorierten Illustrationen, wie wir sie von früher aus dem Biologieunterricht kennen: die Beinknochen eines Skelettes. Während Kaisa Tag und Nacht zeichnet, kocht Christoffer für sie und hängt dann, auch das sehen wir im Bild, mit den „cool guys“ in der Druckerei herum. Gelegentlich unterrichtet er Buchherstellung, erzählt er.

Doppelt hält besser

Die Liebe zum Buch zeigt sich bei den Lekas auch in der Art und Weise, wie sie es produzieren und binden. Ganz viel Handarbeit. Selbstversuche und Dummys mit Gummibändern, die nur entfernt an japanische Buchbindekünste erinnern, lassen Christoffer die eigenen Grenzen erkennen – und einen gelernten Buchbinder hinzuziehen.

„expedition No. 3“ wurde Seite für Seite per Hand zusammengestellt und in japanischer Tradition fadengeheftet; mit dem exakten Falten einer von Kaisa gezeichneten Landkarte in 2.000er-Auflage (darin eingearbeitet hat sie gesehene oder gewünscht gesehene Tiere) quält sich gerade eine damit beauftragte Freundin Stück für Stück herum (wenn sie nicht gerade verzweifelt in eine Bar geflüchtet ist, wie Christoffer mutmaßt).

Das Blümchenmuster einer alten Tracht aus Kasachstan dient als Vorlage für bunte Bucheinbände und Packpapier; die schnürsenkelartigen Bändchen, die ein Bändchen zusammenhalten, bepinselt Kaisa schließlich einzeln an den Enden mit farblosem Nagellack, um das Ausfransen zu verhindern. Bücher für die Ewigkeit.

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Bis hin zur Verpackung reicht die Liebe der Lekas. Wunderschönes Packpapier, selbst gestaltete Briefmarken und Siegellackstempel, hübsche farbige Bändchen zum Verschnüren runden das Bild (das Buch) ab. Allerdings hindert das manchen Empfänger, sein Leka-Buch überhaupt erst auszupacken: Viele stellen ihres unausgepackt ins Regal und ordern nach: „please can you send me another one“ …

Das immerhin ist ja so etwas wie ein kleiner Marketingerfolg, wenn auch keine beabsichtigte Strategie. Eine solche haben Kaisa und Christoffer nämlich nicht. Für sie endet die Arbeit an einem Buch, wenn es fertig ist. Dann liegen die Stapel warm und trocken in ihrem kuscheligen Wohnzimmer und einzelne Exemplare werden auf Bestellung versandt – oder zu Konferenzen mitgenommen, wenn auch viel zu wenige: Auf der TYPO Berlin sind die Leka-Bücher umgehend ausverkauft.

Dann muss ich mir meine Exemplare wohl in Finnland bestellen.

Jedes zweimal.

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Das habe ich dann auch gemacht. Mit dem Ergebnis, dass die doppelt bestellten Bücher doppelt liebevoll eingepackt bei uns ankamen und doppelt liebevoll betrachtet, aber nicht ausgepackt werden. Seit über einem Jahr.

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Erstmals veröffentlicht am 22. Mai 2012 auf dem Blog der Agentur Edenspiekermann unter dem Titel „ESPI on site: die besten Geschichten schreibt das Elend“ und mit dem Titel „Christoffer und Kaisa Leka: Sachen machen, die Spaß bringen“ am 21. Mai 2012 als Vortragsbericht auf dem Blog der Tagung TYPO Berlin. Hier geht es zur Website und zum Blog von Kaisa Leka, hier gibt es Informationen zum Reise- und Buchprojektexpedition no. 3“. Auf Facebook findet sich auch das Projekt „Tour d’Europe“. Hier als Bonus ein Superfahrradfoto der beiden auf ihrer hoffentlich bald wieder eröffneten Fahrradyogaseite und ein superstrenges Foto als Verlagsinhaber. Und ein Beitrag über Christoffer und Kaisa Leka auf Slanted: „Tour d’Europe / Post aus Finnland“. Alle Fotos im Beitrag hier sind direkt aus dem Vortrag der Lekas und stammen von Luc(as) de Groot

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