3 Fragen an Roland Stieger, Veranstalter der Tÿpo St.Gallen. Sein Thema ist Tempo.
Im Sprecherraum treffe ich einen glücklich-erschöpften Roland Stieger. Ob er direkt nach der Konferenz Lust auf ein Interview hat? „Ja, selbstverständlich“; lächelt er und ändert null Millimeter die Haltung (als Reaktionen kenne ich erschreckten Blick, ersterbendes Lächeln, Fluchtreflex) – „sofort“. Sehr schön, lieber Roland, drei Fragen, drei Antworten, möglichst in je einem Satz.
Warum das Konferenzthema Tempo, jetzt?
„Ich sage jetzt die Kurzversion: weil es das einzige Wort war, wo wir uns einig waren.“
Er lächelt nun etwas weniger.
„Blöde Antwort. Wer wir? Also das Organisationskommittee, der Andreas, Oliver, Kathrin, die Mo, der Daniel Kehl, der Peter … Paul Gruber hat Stimmenthaltung gemacht.“
Er lächelt jetzt nur noch ein ganz kleines bisschen.
„Das war wahnsinnig schwer.“
„Nachher war es dann supereasy.“
„Wir hatten da zwei Stunden gehabt.“
„Und ich glaube der Clemens (Moderator Clemens Schedler, Anm. d. Red.) hat gesagt: ,Das ist aber schnell.‘“
„Ich finde ein Thema zu haben irgendwie gut. Es ist dann einfacher, ganz unterschiedliche Sichtweisen zu eben einem Thema zu gewinnen. Das Thema Tempo fanden dann lustigerweise alle gut, außer Jost Hochuli.“ Der sollte doch aber den Text dazu schreiben? „Ja. Also habe ich einen Text an den Jost geschickt“, lächelt Stieger, „und er: ,komm, das mache ich besser‘“.
Eine Frage, die sich aufdrängt:
Gehen in der Schweiz die Uhren anders?
„Ich mache jetzt einen großen Bogen“: Roland erzählt die Geschichte der Helvetica-Uhr und endet mit der Feststellung „ich liebe wirklich Schriften und ich bin eigentlich der Helvetica gegenüber – jetzt habe ich den Faden verloren.“ Wir waren bei Mondaine, Partner der Tÿpo St.Gallen „für die Uhrenaktion“: Roland Stieger hat eine limitierte Edition ihrer Helvetica-Uhr gestaltet (mit den Zahlen auf dem Ziffernblatt, klassisch angeordnet, aber in ansteigender Schriftgröße von 1 bis 12 Punkt). Alle Vortragenden erhielten so eine typografische Uhr und unter den Konferenzteilnehmenden wurden 33 weitere verlost. Das erzählt jetzt aber nicht der Roland, sondern ich.
Die Firma Mondaine kennt in der Schweiz jeder, erklärt er, denn: „Die haben die Bahnhofsuhren gemacht. Die sind ganz stark. Diese Uhren, alle Uhren an allen Bahnhöfen, machen immer bei der 12 – also da macht der Sekundenzeiger zwei Sekunden Pause. Sie können sich das leisten, jede Minute zwei Sekunden Pause zu machen.“
Zwei Sekunden Pause.
„Das heißt, die Uhren in der Schweiz gehen eigentlich schneller.“
Bevor wir zu Frage 3 kommen, hat er noch eine Antwort parat, doch die sei abendfüllend: „Ich möchte meine Zeit hier auskosten, deshalb habe ich so ein extrem hohes Tempo angeschlagen. Schnell muss nicht immer besser sein, aber wenn man zu langsam ist, zum Beispiel mit dem Fahrrad, fällt man einfach um. Aus dem Zug sehe ich nur Grün. Aber wenn ich langsam bin, dann sehe ich die einzelnen Gräser und sogar die Erde dazwischen.“
Roland, wie schreibt man den Ypsilon-Umlaut?
„Da müsste ich jetzt den Rainer Erich Scheichelbauer fragen. Komplizierte Tastaturfonts.“ Ich kopiere das „ÿ“ in „Tÿpo St.Gallen“ immer wieder aus seinen E-Mails heraus. „Ich auch“, sagt der Roland lächelnd, „nur manchmal habe ich mir die Mühe genommen und das Tastatur-Fenster geöffnet“. In der Schweiz nimmt man sich offenbar die Mühe, man gibt sie sich nicht. Wir jedenfalls geben gerne zu, dass wir das Ypsilon mit Umlaut immer kopieren und einfügen.
Aber Achtung, es ist nicht nur eine typografische Spielerei: „Es gibt Schweizer Dialekte, da wird es zum Teil so verwendet. Wir wollten ein Logo, das sich jedes Jahr neu erfinden kann, und Ypsilon-Umlaut zur Wiedererkennung. Wegen der Schreibweisen bei Dialekt.“ Überhaupt scheint der Ypsilon-Umlaut gut zur Landescharakterisierung geeignet, findet Roland Stieger: „Weil, es gibt in der Schweiz so viele Dinge, die eigentlich keinen Sinn machen. Das Überkorrekte.“
Apropos Tastaturen, dazu ein Nachtrag: „Der Rainer hat eine Österreich-Tastatur gemacht, da kannst du sogar Vietnamesisch tippen. Also, er kann’s. Ich benutze sowieso immer die deutsche Tastatur. Da stand einmal groß drauf ,Deutsch’, das war eine Fehlbestellung, das war super. Also habe ich gesagt, dann kann ich sie benutzen.“
„Nur das Eszett finde ich manchmal nicht.“ Das Eszett benutzt in der Schweiz eigentlich kein Mensch. Er schon: „Ich find’s eine gute Sache, muss ich sagen“. Ich auch. Eine gute Sache, dieses Interview.
Vielen Dank, lieber Roland!
Roland Stieger ist gelernter Schriftsetzer, eidg. dipl. Typografischer Gestalter, Schriftgestalter und Dozent sowie Mitinhaber der Agentur TGG Hafen Senn Stieger. Das Interview fand statt an der Schule für Gestaltung St.Gallen im Lehrer-, temporär Sprecherzimmer, am Samstagabend, dem 19. September 2015. Die Fotos habe ich währenddessen gemacht und danke herzlich Roland Stieger für sein Vertrauen (auch in meine Fotokünste).
Wir haben dann noch weiter nachgedacht über eventuelle Konferenzthemen für die nächste (copy, paste) Tÿpo St.Gallen und was mir dazu aufgefallen war; wird sicher super, wird nicht verraten. Roland Stieger schwärmte von den Musikern, die das Programm abgerundet haben (so sei der Urs Klauser Lehrer und baut Instrumente); ich hob den beeindruckenden Einsatz von Rino Frey hervor, Sponsor des präsentierten Bandes „Tschicholds Faszikel“. Ja, der sei voll überzeugt, erzählte Roland stolz, der habe „sich verführen lassen“ von ihm und Jost Hochuli (bekannt für herausragende Arbeiten als Buchgestalter); sie hatten das Gespräch mit Druckereiinhaber Frey gesucht und sich für diese besondere Publikation zusammengefunden. Mehr dazu und zu den einzelnen Vorträgen (die Bandbreite war beachtlich) lesen Sie in meinem Bericht über die Tÿpo St.Gallen auf dem Blog der TYPO Berlin.