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Text in Not

Druck und gewisse Dringlichkeiten scheinen das Schreiben zu befördern und führen mitunter zu sehr guten Texten. Aber wie? Eine Ermutigung.

Der Schriftsteller Robert Walser hat die letzten Jahrzehnte seines Lebens in Heilanstalten verbracht. Er liebte lange Spaziergänge. Oft wurde er dabei begleitet von seinem Psychiater, der gleichzeitig sein Förderer und Bewunderer war. Auf einem dieser langen Spaziergänge starb Robert Walser, allein, im Schnee. Aber zuvor hat er mit die schönsten und rätselhaftesten Texte verfasst, die es in deutscher Sprache gibt.

Gründe und Abgründe

In seiner Berliner Zeit Anfang des vorherigen Jahrhunderts brillierte der junge Robert Walser (*1878 Biel, †1956 bei Herisau in der Schweiz) als Essayist und Journalist. Zuverlässig belieferte er die Medien der Hauptstadt und fiel im Feuilleton auf. Die Schriftstellerkollegen Kafka, Hesse und Musil waren begeistert. Der Band Die kleine Berlinerin (erschienen als Insel TB 4622 bei Suhrkamp im Januar 2018) versammelt die kurzen Berliner Stücke und ein exzellentes Nachwort von Clemens J. Setz – ideal als Einstieg. „Bei keinem Autor hat man weniger den Verdacht, dass er einen belügt“, so Setz in besagtem Nachwort.

Ich empfehle Robert Walsers Gesamtwerk und die nähere Befassung mit seinen Notizen aus dem Bleistiftgebiet. Robert Walser wechselte von Füller auf das zartere Medium Bleistift und verfasste, ähnlich wie er sich schrittweise aus dem Leben zurückzog, in immer kleinerer Schrift seine Manuskripte. Diese sogenannten Mikrogramme sind bis heute nicht vollständig entschlüsselt. Das Dechiffrieren ist höchst schwierig, denn die Schrifthöhe beträgt an vielen Stellen nicht mehr als einen Millimeter. Doch gilt das, was da zutage tritt, als einzigartig.

Robert Walsers Prosa, so schlicht und fast naiv sie auf den ersten Blick daherkommt, kursiert unter Kennern als höchst unterschätzter Geheimtipp und wird beschrieben als ausgefeiltes stilistisches Verwirrspiel; es tun sich Abgründe auf. Gleichzeitig gibt es kaum Texte, die beruhigender wirken: feingesponnen, dicht und stark, ein Netz aus Wörtern, die, in kokonartiger Gesamtwirkung, uns nach und nach einwickeln, umhüllen – und gleichzeitig alles eröffnen.

Begleitend zum Vortrag entstand dieses Plakat (Text Sonja Knecht, Typografie Ferdinand Ulrich, Foto Norman Posselt) – Näheres unten.

Eine wenig bekannte Berlinerin wäre am 6. Juli 2016 100 Jahre alt geworden, wenn sie lebenszäher gewesen wäre, und wenn sie nicht mit Anfang 50 vor den Augen ihres Liebhabers und künstlerischen Wegbegleiters aus dem Fenster gesprungen wäre: Unica Zürn, Königin der Anagrammdichtung. Bei dieser wohl strengsten, aber auch höchst verspielten künstlerischen Textform wiederholen sich – wiederholt die Autorin – in jeder neuen Zeile die Buchstaben der Ausgangszeile. So entstehen, von der Autorin immer wieder auseinandergenommen und neu zusammengesetzt, neue Wörter und Inhalte, oft überraschend.

Die Wörter scheinen Bedeutung zu verbergen, zu eröffnen, und sie lassen zu, dass wir mit ihnen spielen. Der Zufall spielt eine große Rolle dabei, es erfordert aber auch Geduld und Disziplin. Oft kann man aus diversen Möglichkeiten wählen, muss ausprobieren, neu ansetzen, entscheiden, kann sich aber auch leiten lassen – und gelangt mit Glück zu neuem Sinngehalt.

Das gilt insbesondere beim Anagrammieren, letztlich aber bei jeder Art von Schreiben. Unica Zürn hat ihre Kunstform auf die Spitze getrieben und wurde im Leben nicht glücklich. Ihre bürgerliche Ehe und zwei Kinder hatte sie hinter sich gelassen, bewegte sich in der Berliner Boheme und in Künstlerkreisen von Paris, wurde immer wieder psychiatrisch behandelt. Sie schuf 123 Anagrammgedichte, oft ergänzt um filigrane, fantasievolle Illustrationen, ein unvergleichliches und höchst eigenwilliges Werk. Bis heute hat Unica Zürn weder weite Bekanntheit noch große Würdigung erfahren.

Aus Trotz

Wiederum 2016 erschien eine US-amerikanische Überraschungsautorin in den deutschen Feuilletons und auf dem Titel des ZEIT Magazins. Zwei, drei Jahre zuvor hatte Nell Zink (*1964 in Kalifornien) dem berühmten US-amerikanischen Romanautor Jonathan Franzen (Die Korrekturen) einen erbosten Brief geschrieben. Und zwar nicht über eines seiner Bücher, sondern über einen ornithologischen Fachartikel, den Franzen verfasst hatte; beide sind begeisterte Vogelkundler. Sie rügte ihn und empfahl ihm, korrigierend, den Fachartikel eines Kollegen. Daraus entspann sich ein schriftlicher Dialog, in dessen Verlauf Franzen das große Schreibtalent der Kollegin erkannte. Er war so begeistert von ihrem Sprachstil, dass er Zink zu einem Roman provozierte. Ihr Debüt Der Mauerläufer, im Original The Wallcreeper, aus Trotz geschrieben, wurde schlagartig zum Erfolg.

Spannend aber ist, dass Nell Zink – abgesehen davon, dass ich nicht weiß, warum Schriftstellerinnen und Schriftsteller (wie für das ZEIT Magazin geschehen) in Unterwäsche abgebildet werden sollten, vielleicht um auf ihre Alterslosigkeit und Körperlosigkeit zu verweisen, oder auf die die Kargheit ihrer Kammer – Nell Zink jedenfalls lebt, wie es heißt, in einer kargen Einzimmerwohnung in Bad Belzig, eine Stunde von Berlin entfernt. Sie hat in Deutschland studiert, in Medienwissenschaft promoviert und besitzt fast nichts. Unter ihren nur 150 Büchern hat sie das Gesamtwerk von Robert Walser. Auf Deutsch. Und sie liebt: lange Spaziergänge.

Mein Text im Typografiemagazin „Typophil“ (Hrsg./Foto Johanna Albrecht, Sebastian Menting) – Näheres unten

Aus Verzweiflung

Der Schriftsteller John Kennedy Toole nahm sich 1969 mit etwas über 30 Jahren das Leben, aus Kummer darüber, dass sein Roman nicht veröffentlicht wurde. Vergeblich hatte er ihn bei diversen Verlagen eingereicht. Zehn Jahre später gelang dies seiner Mutter, die nicht aufgegeben hatte – und ihrem Sohn wurde für A Confederacy of Dunces, zu deutsch Ignaz oder Die Verschwörung der Idioten, posthum der Pulitzer-Preis verliehen. Diese wichtigste literarische Auszeichnung in den USA, gestiftet vom Zeitungsverleger Joseph Pulitzer, wird seit 1917 verliehen und hat bei Publizisten den gleichen Stellenwert wie in der Filmindustrie der Oscar.

Ignaz oder Die Verschwörung der Idioten ist brüllend komisch und beleuchtet auf tragisch-komische Weise US-amerikanische Befindlichkeiten der 1960er Jahre, drastisch überspitzt dargestellt anhand einer anachronistischen, sich absurd anarchisch gebärdenden Hauptfigur, die vor Intelligenz und Renitenz nur so strotzt. Dem Titel können wir gleich zwei spannende Vokabeln entnehmen: Confederacy und Dunces. Erstes bedeutet soviel wie Versammlung, Zusammenrottung ober eben Verschwörung, die Dunces sind schlicht Deppen, nur ist der Tenor gehobener, ergo wären die Idioten tatsächlich die passendere Entsprechung. Zeitaktuell könnte man von einer „Diktatur der Deppen“ sprechen. So titelte das Berliner Stadtmagazin ZITTY und wurde mit seiner Ausgabe 33 im Oktober 2015 Cover des Monats (bebildert mit einer Armee aus Zündhölzern, es ging um politische Brandstiftung). Sprachstile wandeln sich.

Wörter als Waffen

Mit seinem Titel jedenfalls bezog sich John Kennedy Toole auf ein Zitat von Jonathan Swift: When a true genius appears in the world, you can know him by this sign: that all the dunces are in a confederacy against him. – Wenn ein wahres Genie die Welt betritt, erkennt ihr es an den vielen Idioten, die sich dagegen verschwören.

Manche Genies, verkannte literarische Genies, manche dieser Dichter und Denkerinnen haben sich schreibend gegen die Idioten gewehrt. Sie haben Sprache als ihre Waffe, Wörter als ihre Mittel benutzt, um den Anfeindungen der Welt zu begegnen. Dabei haben viele von ihnen wunderbare Texte verfasst – übrigens nicht alle traurig, tragisch, schlimm und von Abgründen durchsetzt. Aber interessant ist eben doch, dass sich eine Schneise des Unglücks durch die Biografien berühmter (oder posthum berühmt gewordener) Sprachmenschen zu ziehen scheint: haufenweise Schicksalsschläge, Pech im Leben, Armut, Krankheit und Elend, früher Tod.

Mein Text im Typografiemagazin „Typophil“(Hrsg./Foto Johanna Albrecht, Sebastian Menting) – Näheres unten

INGEBORG BACHMANN, gefeiert insbesondere für ihre Lyrik, litt an Alkohol- und Tablettensucht. THOMAS BERNHARD war schwer lungenkrank (Leseeinstiegsempfehlung: Der Stimmenimitator, Goethe schtirbt und vor allem Wittgensteins Neffe). WOLFGANG BORCHERT kam krank aus dem Krieg zurück nach Hamburg und starb mit 26, seine Kurzgeschichten (zum Beispiel Die Küchenuhr, Nachts schlafen die Ratten doch) liest man einmal und vergisst sie nie (ein völlig unterschätztes und sensationell gutes Genre übrigens, die klassische deutsche Kurzgeschichte). Wer kennt den Film Die Wand (von 2012)? Das gleichnamige Buch (1963) von MARLEN HAUSHOFER (Krebstod mit 49) ist noch besser, oder auch ihr Kurzgeschichtenband Wir töten Stella. FRIEDRICH HÖLDERLIN (Lyrik) war psychisch krank und stand unter Vormundschaft; FRANZ KAFKA (die Tagebücher!) hatte Tuberkulose, zeitlebens Beziehungsnöte und starb mit 40; KLAUS MANN war drogenabhängig und nahm sich im Exil das Leben (lest seine Kurzgeschichten, Essays, Romane); ROBERT MUSIL, Autor des Weltwerkes Der Mann ohne Eigenschaften, litt unter Publikationsverboten, Armut und Schlaganfall, GEORG TRAKL (Lyrik) unter Depression, Drogenexzessen, Angst und Wahn. ADALBERT STIFTER (Trinksucht, Esssucht) ließ in seinen Texten ganz neue Welten erwachen (zum Einstieg: Brigitta) und nahm sich das Leben, ebenso AGLAYA VETERANYI (Suizid mit 40), Warum das Kind in der Polenta kocht. Die Erzählung Michael Kohlhaas dreht sich um einen radikalen Außenseiter, Autor HEINRICH VON KLEIST (ebenfalls Suizid) war schwerer Stotterer; er hatte große Schwierigkeiten, sich mündlich zu äußern. Und doch (und deswegen?) sind Kleists Texte eine große Herausforderung und ein großer Genuss. Empfohlen seien hier seine berühmten Aufsätze Über das Marionettentheater und vor allem Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden – ein Text, der formal eins zu eins dem Inhalt entspricht; einzelne Gedanken scheinen sich in vielen kurzen, verschachtelten, in dichter Folge aneinandergereihten Sätzen und Satzfragmenten stückweise zu entfalten, der gestückelte Satzbau erinnert an Stottern.

Und so weiter, und so fort, und so tragisch und verblüffend.

Das aber sollte uns nicht zu der Überzeugung verleiten, eine schlimme Biografie sei quasi die Voraussetzung zum Schreiben. Nein! Das wäre entsetzlich, zynisch zudem. So ist es nun auch wieder nicht. Es gibt Gegenbeispiele.

Als ich aufwachte, aufstand, mich wusch

Meinem zeitgenössischen Lieblingsschriftsteller, dem geht es blendend. Jüngsten Recherchen zufolge liegt Xaver Bayer (*1977) entspannt in Wiesen herum, offenbar ist er von Wien aufs Land gezogen. Er begibt sich auf die eine oder andere Lesereise, gelangt gar bis zur österreichischen Botschaft in Peking, produziert verlässlich Band um Band und sieht auf den kursierenden Autorenfotos immer noch angemessen nachdenklich aus, mit Augenringen, mit Zigarette sogar. Vielleicht ist eingetreten, was er im Titel eines Theaterstücks (2004) wie folgt zusammenfasst: Als ich heute aufwachte, aufstand und mich wusch, da schien mir plötzlich, mir sei alles klar auf dieser Welt und ich wüsste, wie man leben sollte. Von da an ging es offenbar gut Weiter (2006). Xaver schreibt meist in der Innenschau, beschreibt Reflexionen, erfasst die gleichzeitig überintensiv und völlig unspektakulär anmutenden Wahrnehmungen seines (meist eines) Protagonisten bis in die kleinsten Fitzel und Facetten. Was genau geschieht, ist egal. Wie bei jedem guten Schriftsteller ist letztlich egal, was erzählt wird, es geht um das Wie.

Also alles gut? Man darf sich den Schriftsteller, die Schriftstellerin als einen glücklichen Menschen vorstellen? Dieses Beispiel scheint (bislang) den anderen zu widersprechen. Doch merkt man auch bei Xaver Bayer – und ich habe mir damals große Sorgen gemacht, als ich Die Alaskastraße (2003) gelesen habe – merkt man auch bei ihm vielleicht nicht unbedingt eine Not, aber einen großen Drang zum Schreiben. Die Welt in Worte fassen. Bei ihm äußert sich dieser Drang in einer riesigen Vielfalt an Form, dazu ein grandioser Umgang mit Sprache, unglaublich präzise und gut beobachtend. Die formale Bandbreite bei Bayer scheint diverse, durchaus strenge und anstrengend wirkende Versuche bestmöglichen Beschreibens widerzuspiegeln.

Das alles führt mich zu eben dieser These: Die besten Texte entstehen in größter Not.

Eine gewisse Dringlichkeit scheint das Schreiben zu befördern und führt mitunter zu sehr guten Texten. Eine solche Dringlichkeit kann offenbar schon durch bestimmte innere Dispositionen in Menschen angelegt sein und durch äußere Umstände befördert werden, zumal durch missliche äußere Umstände. Große Not, welcher Art auch immer, scheint den einen oder anderen zum Schreiben zu bringen.

Ist es eine bestimmte Veranlagung, die uns zum Schreiben führt? Spielen innere Dilemmata eine Rolle oder ist es der mögliche Widerspruch zwischen innen und außen? Georg Wilhelm Friedrich Hegel fasst dies sehr elegant, wenn auch in einem etwas ruppigen Bild: Ein geflickter Strumpf ist besser als ein zerrissener; nicht so das Selbstbewusstsein. Das klingt kompliziert. Man könnte es leichter formulieren oder auch interpretieren so, dass ein zerrissenes Selbstbild, also ein brüchiges Selbstbild, dessen ich mir bewusst bin, mit dem ich umgehe, das ich reflektiere und beschreibe, besser ist, als wenn ich versuche, es zu kaschieren.

Mit diesen Gedanken verlassen wir das Feld philosophischer und sonstiger Abgründe und bewegen uns hin zur – Unternehmenskommunikation. Nicht ganz einfach, doch sei eine schlüssige Überleitung hier versucht.

Stimmen meine Bilder?

Leichter und seichter wird es jetzt, könnte man meinen, und ja, bei Werbung und Kommunikation geht es meist leichter und seichter zu als in Literatur und Philosophie. Und doch, es gibt einen Zusammenhang. Denn auch bei der Unternehmenskommunikation geht es um die Wahrnehmung von Welt und von sich selbst. Unternehmen haben eben auch Selbstbilder. Sie haben einen Blick von innen auf sich selbst, nach innen, und sie haben einen Blick nach außen, und sie werden von außen betrachtet. Stimmen die Bilder überein? Gebe ich mit meinem Unternehmen, mit meinen Marken, mit meiner Kommunikation ein glaubhaftes Bild ab? Vertrauen mir meine Mitarbeiterinnen und Kunden? Fragen, die und denen sich jedes Unternehmen stellen sollte.

Es gilt, mit diesen Fragen überzeugend umzugehen. Das macht Unternehmenskommunikation so spannend und viel komplexer als Werbung und Marketing, in Abgrenzung eben zu allem, wo es schlicht um Vertrieb und Verkaufen geht. Hier geht es um Vertrauen. Unternehmen brauchen die Innenschau, die Selbstbetrachtung: Wer bin ich (Name, Claim, Mission)? Wozu bin ich da und wo will ich hin (Purpose, Vision)? Was will ich erreichen (Ziele)? Was mache ich (Produkte und Leistungen)? Wie mache ich das (Leitlinien, Corporate Conduct)? Wie gehe ich mit Mitarbeiterinnen, Kunden und Lieferanten sowie der Presse um (Ressource Management, Mitarbeiterinformation, Human Relations, Public Relations, Innovationsmanagement, Beschwerdemanagement usw.)? Wo und wie findet Kontakt statt (Touchpoints, Dialog, Interaktion, Community Management)? Wie spreche ich (Verbal Identity, Corporate Wording)? Wie sprechen meine Marken, Produkte und Services (Brand Language, Naming)? Wie kommuniziere ich mit meinen (internen und externen) Zielgruppen?

Unternehmen müssen texten. Unternehmen stehen in der Not, zu kommunizieren. Es geht nicht ohne. Auch wenn sie nicht texten, ist das Information. Auch wenn sie schlecht texten, ist das Information.

Das sagt mir, wenn ich so etwas lese, sehe oder höre auf einer Website, wenn ich über missratenen Text stolpere in einer App, einem Flyer, auf einem Schild, in der Warteschleife der Service-Hotline, wo auch immer ich mit dem Unternehmen in Kontakt komme: Da hat sich jemand keine Mühe gegeben. Da bemüht sich jemand nicht um mich. Dem ist das egal. Ich bin denen offenbar egal.

Unternehmenskommunikation bedeutet Umgang mit Sprache. In welcher Form auch immer. Daraus folgt: lieber bewusst Sprache nutzen. Mit Sprache gestalten. Texten.

Überall mit Sprache gestalten

Was bedeutet das nun fürs reale Leben? Wir sind vielleicht keine Schriftsteller, wir arbeiten auch nicht alle im Bereich Kommunikation, wir sind vielleicht visuelle Gestalterinnen oder haben ganz andere Berufe – und doch. Wir alle müssen texten. Mindestens gelegentlich brauchen wir Worte. Als (angehende) Gestalterinnen müssen wir uns und unsere Projekte beschreiben, wir brauchen Profiltexte und ein Portfolio, müssen Präsentationen schreiben, uns mit Auftraggeberinnen, Teampartnern und Kollegen austauschen. Wir brauchen Wörter und es heißt nicht umsonst Wortschatz, Wortwahl. Wir müssen Worte finden, und zwar idealerweise die richtigen, solche, mit denen wir uns wohlfühlen, überzeugen und verstanden werden. Wie gelingt das am besten?

Lörnings

Das Geheimnis guter Texte liegt weniger in raffinierter Technik, ausgeklügeltem Vokabular oder astreinem Deutsch als in unserer Haltung. Natürlich hilft ein gutes Sprachgefühl – und dafür nur eins: Lesen. Lesen! Egal was. Aber das mit einem wachen und wachsenden Gespür dafür, was uns gefällt, oder auch nicht, und woran das liegt. Wie ist ein Text gemacht? Worauf beruht seine Wirkung?

Natürlich hilft Übung, gelegentlich ein Textseminar, ein kleiner Workshop vielleicht, der Besuch einer Schreibwerkstatt (gibt es an vielen Hochschulen). Doch das entscheidende ist, mit welcher Haltung ich mich ans Schreiben mache. Drei Anhaltspunkte:

  • Sag die Wahrheit. Alles ist da,
    du musst es nur noch beschreiben.
  • Finde die Fakten, die Folgen, Beweise.
    Erzähl Deine Geschichte.

  • Vertraue dir. Und vertraue den anderen.
    Dann vertrauen sie auch dir.

Die Schlagworte im Englischen hierfür wären:
Truth, Storytelling, Trust.

Diese drei Elemente brauchen wir in jeder guten Kommunikation, in verschiedener Ausprägung. Manchmal sind Details, Daten und Fakten das Wichtigste. Oft ist es die Art, wie ich die Geschichte erzähle: ein gutes Storytelling. Manchmal sind die Bedingungen nicht die besten, dann hilft vor allem Vertrauen. Ich muss schlicht darauf vertrauen, dass es mir schon gelingen wird, zu sagen, was gesagt werden muss und was ich sagen möchte. Ich versuche es einfach bestmöglich, auf meine Art. Ich bin ehrlich und echt. Dann vertraut mir mein Gegenüber. Dann glaubt mir mein Leser, meine Kundin, dann gelingt Kommunikation.

Die Texte, die wir täglich auf der Straße finden, die persönlichen Botschaften im urbanen Raum, sind dafür der allerbeste Beweis. Jemand, der etwas verloren hat oder sucht (Katze, Hund, Job, Freund), der findet die richtigen Worte. Garantiert. Wenn wir in Not geraten, dann müssen wir texten. Und es gelingt aufs Verblüffendste.

Abschließend sei zusammengefasst: Die besten Texte entstehen in größter Not. Bedeutet im Umkehrschluss: In der Not wird jeder zur Texterin. Texten ist gestalten mit Sprache, dafür ist Sprache da. Nur Mut also. Lasst uns sagen – schreiben, beschreiben, benennen – was Sache ist. Text wirkt! Text hilft in jeder Lebenslage, in jedem Beruf, Text macht enorm viel Spaß und bringt uns alle weiter.

Dieser Text wurde publiziert im Typografie-Magazin „Typophil 01 2019“, konzipiert und gestaltet von Johanna Albrecht und Sebastian Menting im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit an der MSD Münster School of Design bei Prof. Rüdiger Quass von Deyen und Dipl.-Des. Paul Bičište. Ich bedanke mich herzlich dafür sowie für die hier verwendeten Bilder.

Mein Essay basiert auf dem Vortrag „Mopsdiebstahl oder Text in Not“ (Video 28 min), den ich erstmals am 24. Juni 2016 im Rahmen von Creative Mornings Berlin in der Galerie P98a von Erik Spiekermann gehalten habe. Begleitend zu diesem Vortrag entstand (wie im Video zu sehen) ein handgedrucktes Plakat im Format 50×70 cm, Papier 160 g/qm, Schrift 16 Cicero Schmale Fanfare (Louis Oppenheim, 1927 bei H. Berthold, Berlin), Holzbuchstaben, auf einer Korrex-Andruckpresse Berlin Kraft Spezial. Der Plakattext (die These) ist von mir, Typografie Ferdinand Ulrich, Foto Norman Posselt. Ausgangspunkt für die Gestaltung: Im Setzkasten war nur ein einziges kleines t. Des Weiteren wurde das Plakat in einer Auflage von 50 Exemplaren gedruckt und ist in der Berliner Galerie-Druckwerkstatt P98a erhältlich.

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